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Episode 3

Darum gehts in dieser Folge

Yes Diggi, I am a Demeterhof child, completely elitist, and I know it! Voted the best young chef in the world at the age of 24, Marianus von Hörsten runs his restaurant Klinker in Hamburg in a trend-averse and uncompromising manner. He loves uncomplicated taverns with a history of intoxication, finds meat substitutes pointless and hipster shops disgusting. In this episode I talk to an eloquent anti-charmer about the catastrophic eating habits of our educated elite and the failure of politics.

Hier die ganze Folge zum nachlesen

Herzlich willkommen zu Food Fak(t). In Wien würde man sagen, ich bin heute ein Heferlgucker, also einer, der dem Koch in den Topf schaut. Zu entdecken gibts recht bodenständige Kost in diesem Topf, aber die hat‘s in sich. Unser heutiger Gast ist nämlich Marianus von Hörsten. Er wurde mit 24 Jahren zum besten Jungkoch der Welt ausgezeichnet. Und heute ist der Profikoch mit Rückgrat. Er weiß, was er will. Er ist visionärer Gastronom und er betreibt in Hamburg das Restaurant Klinker. Na dann wollen wir mal hören, was er uns heute so aufzutischen hat. Hallo, lieber Marianus!

Hallo Stefan.

Du hast schlechte Nächte hinter dir, weil du die Zecken gegessen hast.

Nein, nein, nur eine. Wir haben gerade einen Pop Up zu Gast aus Frankfurt, also ein gastronomisches Pop Up und die bringen Wein mit.

Und du hast zu viel Wein getrunken?

Eventuell.

Das ist eine gute Voraussetzung, also hätte ich besser einen Schnaps zum Verkosten mitbringen müssen.

Boa, dann hättest du auf jeden Fall hier eine schöne Geräuschkulisse gehabt.

Oje, oje, oje. Also ich sage vielleicht trotzdem nochmal, ist ja keine Werbung hier, es ist nicht bezahlt oder so, aber es sind Produkte, die ich interessant finde. Und Insekten sind ja immer wieder ein Thema. Ich habe heute mitgebracht Buffalo-Würmer, Mehlwürmer. Hier auf einer Stulle. Also kannst auch gerne nur einen probieren. Ich würde es mal machen, weil ich habe es selber noch nicht probiert.

Ich entscheide mich im Laufe des Gesprächs dazu, okay? Ich habe wirklich einen richtig flauen Magen.

Naja gut, es ist ja reines Protein, aber generell, auch wenn du es jetzt nicht probierst, ist das was, was in deinem Restaurant Klinker auf der Karte landen könnte? Z. B. als Topping auf dem Salat oder als Vorspeise, Amuse-Gueule auf so einer Stulle mit Butter?

Nee, also so doof es klingt: Wir sind ja sehr, sehr regional und sehr saisonal und gucken vor allen Dingen, dass wir vegetarisch bleiben. Ich habe eigentlich keine riesige Abneigung gegen Insekten. Ich habe eine Zeit lang in Tansania gelebt, da gibt es sie halt frittiert.

In Deutschland gibt es ja auch Insekten.

Ja, ja klar. Aber a) da fehlt uns das Know-How damit zu arbeiten und b) gibt es zu wenig Supplier und c) denke ich mir, mit einer Rübe von den Äckern hier haben wir auch relativ viele interessante Möglichkeiten. Und dann ist es so ein bisschen zu nischig. Und ich habe mir jetzt noch nicht so super viele Gedanken gemacht, von daher ist die erste Impulsantwort eher nie.

Es ist ja doch auf eurer Karte relativ viel Neues also neue Zutaten und ein Mix aus neuen und traditionellen Zutaten, ist zumindest so mein Eindruck. Wie schafft es denn eine neue Zutat auf die Speisekarte?

Also eigentlich ist es relativ simpel. Es ist altes Kochhandwerk, was da gelebt wird. Wenn wir jetzt gerade merken, wir arbeiten mit einem Gärtner zusammen, der Neophyten kultiviert, also Pflanzen, die eingeschleppt sind, die nicht ursprünglich in Europa leben, aber aufgrund der klimatischen Veränderungen jetzt inzwischen hier ein Zuhause haben und auch in Zukunft interessanter werden, wo wir dann sagen, okay, cool das können wir jetzt kombinieren. Am Anfang sind es eigentlich eher so: Viele Kräuter und Pflanzen, die ein starkes Eigenaroma haben, womit man dann geil spielen kann. Dann wird halt Colakraut mit Karotte aus den Vier- und Marschlanden kombiniert.

Das heißt, es ist eigentlich ein regionaler Landwirt, ein regionaler Lieferant, der dann neuen Input liefert und sagt: „Ich bringe jetzt eine Cola-Pflanze aus Kolumbien her.“

In dem Fall ist es ein Kollege, der nutzt hier in der Stadt in Hamburg so viele Grünflächen, die er dann im Agroforstsystem kultiviert, also dass er da wirklich wie im Urwald mehrere Schichten von der Vegetation aufbaut. Dass du Bäume hast und dann hast du Mikroklima unter dem einen Baum und so, also schon sehr durchdacht aber auch nichts Neues, weil die Natur das seit 5,3 Milliarden Jahren macht.

Jetzt gibt es ja auch nicht nur den Trend bei den Zutaten, sondern auch bei den Gerichten. Also ich komme ja – man hört’s – aus Berlin und da ist nach wie vor peruanische Küche, mexikanische Küche recht trendig, die Ceviche etc. Wie kommt sowas zustande?

In Hamburg gab es mal den Trend von Bowles, also es ist eigentlich nur ein kalter Salat mit Reis drunter, aber ich glaube, es kommt davon, dass Leute durch die Welt tingeln, dann irgendwie ein geiles Erlebnis haben und das mit einem Lebensmittel verknüpfen und dann sagen „Okay, ich hab den Bock, die Motivation, die liquiden Mittel, um sowas nach Hamburg zu bringen“ und dann sagen „Okay ich mache das jetzt einfach“. Bei uns war es so: Ein Freund, der hat die Hälfte des Jahres mal auf Bali gelebt und hat dann da natürlich nach dem Surfen so richtig klischeemäßig so eine Bowl gefressen und der kam dann nach Hamburg, meinte, gibt es hier nicht, hat es gemacht und inzwischen gibt es, keine Ahnung, 20 solche Bowlläden. Dann ist natürlich jetzt so gerade noch Social Media ein Riesenthema. Das heißt, du kannst halt geile Bilder machen und dann geht es viral. Ja, manchmal weiß ich nicht, ob jeder Trend hierherkommen muss oder ob jeder Trend überhaupt sein muss, aber es gibt eine Bubble, die es konsumiert.

Das muss ich dich jetzt fragen, weil ich gerne essen gehe und ich auch nicht jeden Tag mit einem Koch so zusammensitze. Es gibt ja auch einen anderen Trend, nämlich gerade auch in der gehobenen Gastronomie, dass du auf der Speisekarte dann einfach nur liest „Brokkoli, Waldkarotte, Pecorino“ und dann kriegst du den Gemüseauflauf serviert. Vielleicht ein bisschen hochwertiger, aber warum schreibt man nicht einfach, was man kriegt?

Boa, ich bin ehrlich, wir machen es genauso.

Ich weiß, darum frage ich das.

Also z. B. bei einem Fleischgericht schreibe ich jetzt Ochse, weil wir ganze Tiere kaufen und dann habe ich nicht immer die Ochsen-Oberschale, sondern ich habe den ganzen Ochsen und dann gibt es halt heute Oberschale, morgen gibt es dann Brust und übermorgen gibt es dann Rücken und da steht dann einfach nur Ochse, weil es ist nicht falsch und wenn die Gäste fragen was ist denn vom Ochsen, dann kann man sagen heute ist es Rücken und morgen ist es Filet.

Aber kann es nicht Enttäuschung oder Ablehnung auslösen?

Ich denke, in der Regel sind immer erstmal alle genervt davon. Klar, die lesen das dann, sagen so ja okay, hört sich jetzt nicht so sexy an, aber inzwischen haben wir schon den Ruf, dass die Leute kommen und wissen: „Die wissen, was sie da machen“ und es gibt keinen Auflauf, sondern es gibt schon was Figelinches, was ein bisschen ausgedacht ist, also ein bisschen ausgefuchst ist und dann in der Regel finden sie das alle ganz geil. Also es gibt ein so ein Gericht „Rosenkohl Miso Minze“, denkst du dir okay, was soll das werden? Und die Leute flippen aus und schreien, ob sie das Rezept kriegen können.

Das ist eine Suppe?

Nee, der Rosenkohl wird frittiert, da gibt es ein Honig-Miso-Chili-Dressing und oben drauf kommt gepuffter Reis und Mandel und dann halt Minze und Koriander. Es ist so ein all time classy, wenn Winter ist, dann gibt es Rosenkohl und dann stinkt der ganze Laden immer nach frittiertem Rosenkohl. Alle kommen und craven halt danach.

Ja, das klingt lecker. Ich esse ja gerne Süßes. Und wenn dann auf so einer Karte irgendwas steht mit Schokolade, dann freue ich mich, endlich Schokolade. Ganz normal. Und dann kommt das Dessert und es ist dann irgendwie so ein Kakao Nip rechts oben auf 85 Grad, dann bin ich meistens sauer. Also Enttäuschung, Ablehnung. Aber man ist auch oft positiv überrascht.

Also ich würde eher sagen, ich bin auch eher immer positiv überrascht, aber ich bin auch ein Nörgler, so ein notorischer. Von daher bin ich eher erst mal negativ und dann denke ich geil. Aber es gibt so Sachen, da darfst du nicht mit den Erwartungen spielen. Wenn du Schokolade hinschreibst, also Schokomousse, dann muss es halt einfach ein geiles Schokomousse sein. Fertig. Weil sorry, aber das ist, wie wenn ich Tiramisu hinschreibe, dann fange ich an meine Kekse selber zu backen und mache da irgendwie so ein dekonstruiertes Tiramisu. Feiert niemand, wirklich.

Sehr gut. Du hast mich schon als Gast gewonnen. Jetzt haben wir über Trends geredet. Gibt es Trends, die du ablehnst, Paleo, Frutarier, Mikro Dingsbums?

Alles. Es ist so gottlos. Ich meine, soll jeder machen, wie er möchte, aber dann diesen Hype darum. Es geht mir so auf die Klöten. Also wirklich, mein Gott, das ist alles schon mal da gewesen. Kommt immer wieder. Das ist wie Mode. Also jetzt gerade steht auf jedem scheiß Werbeding, im Winter sind weite Mäntel in. Ja, wie vor fünf Jahren auch. Und wie in 10 Jahren wieder. Also Leute. Macht halblang. Was da los?

Naja, du wurdest mit 24 zum besten Jungkoch der Welt gekürt, hast ein Jahr später den Next Chef Award gewonnen und dann hat man da nicht auch so ein bisschen dieses ‚ich bring die Mode‘. Also du bist ja quasi wie der Modeschöpfer in so einer Spitzengastronomie. Bist du nicht der Karl Lagerfeld der Küche?

Ne, pass auf, das Ding ist, wir haben diese ganzen Hipsterläden, die alle irgendeinem Trend hinterherjagen. Die einen machen jetzt Nudeln, die nächsten machen keine Ahnung, Ceviche, die nächsten machen Bowls. Aber ehrlich, was brauchen wir? Wir brauchen einen Ort, wo du hinkommen kannst, wo du ein geiles, frisch gezapftes Bier kriegst oder alkoholfreies, wo du was Ordentliches zu essen kriegst, wo du sein kannst. Wo du nicht durch Steifheit von irgendwelchen Sternenkellnern genervt wirst, wo du Angst hast, die Gabel fallen zu lassen oder überhaupt zu reden, wo es einfach alles steril ist, sondern du brauchst Gastwirtschaft. Also wir brauchen ja Schankwirtschaft, wir brauchen Orte, wo Leute zusammenkommen. Es fehlt uns. Corona hat das krank zerstört, die Abende sind kürzer. Früher waren die Abende ausgelassen, die Leute haben gefeiert, haben gesoffen, haben gefressen, hatten halt Spaß am Leben. Und jetzt kommt ein Trend nach dem anderen und ich denke ja, macht ihr mal. Aber was wir brauchen, sind so Schankwirtschaften, so geile Schankwirtschaften. Ich meine, der Norden hat es sowieso schwierig wegen Protestantentum, würde ich mal sagen. Aber im Süden, du weißt ja, so ein Wirtshaus, wo du hingehen kannst, kriegst du ein gescheites Bier, was Ordentliches zu essen, kannst dich freuen.

War das der Grund, warum du dann gesagt hast, du möchtest da nicht mehr in dieser Sterne-Gastronomie arbeiten?

Boah, Sternegastro ist ein ganz eigenes Thema, da können wir drei Jahre drüber reden. Also die Sternegastro ist in aller Linie erst mal nicht nachhaltig. Das heißt im Sozialen, die Mitarbeiter werden beschissen bezahlt, arbeiten ewig lange, aber hey, du machst das für den Stern. Come on, das ist 2023, was soll das? Die Lebensmittel werden von sonst wo hergekarrt. Also ich kenne Läden, die haben zwei Sterne und die kriegen den ganzen Spaß aus Paris Rungis. Jeden Tag wird das Zeug hier nach Hamburg gekarrt, damit sie dann ihre zwei Sterne kochen. Das ist halt so ausgedacht. Aber das ist halt nicht real gelebt. Wenn du in so ein Wirtshaus reingehst, dann riechst du diesen Geruch und denkst ja okay, hier ist schon der ein oder andere mal versackt. Hier wurde schon gefeiert, hier wurde schon gelebt. Und das hast du in den Sterneläden nie. Und das, das macht dich auf langer Sicht nicht glücklich.

Das heißt, Nachhaltigkeit war tatsächlich ein Grund zu sagen, ich kehre dem den Rücken zu?

Komplett, man, ich habe ja selber in der Sternegastro gearbeitet. Aber du gehst daran kaputt. Und dann bist du 22 und hast irgendwie einen Tag frei die Woche und alle deine sozialen Kontakte gehen den Bach runter. Und du denkst, was machst du hier eigentlich? Und für wen machst du das? Dafür, dass irgendein Chef bei Netflix irgendwas zusammenschustert.

Aber hätte der nicht das Potenzial, gerade so ein Thema wie Nachhaltigkeit zu positionieren? Könnte der nicht was bewirken, wenn er das wollen würde?

Ja, mit Sicherheit. Die könnten schon Rolemodels werden, aber da hat keiner Bock drauf. Es gibt so ein paar Läden, die machen das, aber die wenigsten machen das. Die kriegen halt ihre Fische aus der Bretagne und ihr Geflügel aus Südfrankreich, obwohl wir vor der Haustür so geiles Zeug haben, weißt du?

Also ist es eigentlich verlogen?

Die Sternegastro? Von vorne bis hinten. Naja, also was heißt verlogen? Ich meine, jeder hat seinen einen Blickwinkel und die einen feiern es halt, weil sie dann sagen, das ist fachlich perfekt. Ja, aber da bleibt halt ganz viel anderes auf der Strecke. Ich will auf gar keinen Fall sagen, Sternegastro braucht kein Mensch. Ich brauch es nicht und ich habe auch eher Bock auf so einen vibigen, treibenden Laden. Deshalb hat mir Berlin lange Zeit richtig gut gefallen, weil du solche Läden en masse hattest. Das heißt, du konntest eigentlich nicht in einem Monat durch ganz Berlin durch, weil du hast es nie geschafft. Du hast vielleicht in einem Monat einen so einen Stadtteil abgeklappert mit den Neueröffnungen, wo geile Läden waren, wo richtig treibende Energie war, wo du reingegangen bist und dachtest, ja okay geil.

Das hat sich aber geändert.

Ja komplett. Und das ist richtig schade, weil früher war das – und das hört sich richtig dumm an, wenn ich das als 31-Jähriger sage – früher war das alles geil eigentlich.

Nee, aber Berlin hat sich nach Corona doch ziemlich verändert finde ich. Gerade die Gastroszene. Es gibt noch spannende, aber die sind eher vereinzelt finde ich.

Gerade ist halt so eine gute Schließungswelle. Also gerade geht viel zu.

Beim Thema Nachhaltigkeit vielleicht noch: Du hast ja diese NDR-Sendung gehabt zum Thema Nachhaltigkeit ‚Green Garage‘. Ist das was, wo du gesagt hast, da habe ich jetzt viel gelernt durch so eine Sendung? Hat das bei dir auch so ein Umdenken bewirkt?

Naja, ich komme von einem Demeter-Bauernhof, also ich bin mit dem mit dem Mindset aufgewachsen. Du kannst dich über alles beschweren, aber wenn die Leute das Wissen nicht vermittelt bekommen, dann hat man eigentlich kein Recht sich zu beschweren. Man muss jetzt mal überlegen, in keinem Lehrplan ist Ernährung, in keinem Lehrplan ist das Wichtigste, was wir machen, vermerkt. Acht Milliarden Menschen auf dem Planeten essen mindestens einmal täglich, selbst die Ärmsten essen einmal irgendwas am Tag und dann kommt immer die Argumentation, das ist dann nicht politisch genug und das ist dann doch nicht wichtig genug. Also die Notwendigkeit, das zu lehren, das ist nicht wichtig. Also das ist nicht da. Und dann denk ich so: Alles klar, Goethe zitieren und interpretieren ist wichtig. Der Planet geht den Bach runter, weil wir so Landwirtschaft betreiben, wie wir es machen und die ist komplett defizitär im ökologischen Sinne. Die ist auch komplett durchsubventioniert. Das sind ja Agrarunternehmen sondergleichen. Und wir wissen von den ganzen Studien, 25 % der weltweit verursachten, also von Menschen verursachten Treibhausemissionen kommen aus der Landwirtschaft. Wenn das nicht wichtig ist, wenn das nicht politisch ist, dass die Leute ein bisschen wissen, was sie essen, können wir es lassen.

Ich ertappe mich gerade dabei, ich hab in der Schule auch nichts gelernt.

Es kann auch keiner kochen. Du musst ja mal weiterdenken. Das geht mit der Ernährung los, was der Impact von der Ernährung auf den Klimawandel ist. Und dann geht das weiter mit Gesundheit. Überleg mal, eine Krankenkasse sollte doch ein riesiges Interesse haben, dass Leute sich gesund ernähren. Magen-Darm-Krebs ist glaube ich der dritthäufigste Krebs in den Industrieländern. Davor ist Brust- und Prostatakrebs. Denkst du: ja, come on.

Hast du auch Dinge erlebt, wo du das Gefühl hattest, das ist eher unglaubwürdig, das ist nicht ehrlich? Also jetzt auch z. B. in so einer Sendung oder in so einem redaktionellen Umfeld, wo man Themen plötzlich hat, wo man denkt, das ist Greenwashing?

Überall, das ist egal wo. Die Leute brauchen Inhalte, die die Leute lesen, die halt gelesen werden. Also Nachrichten sind ja ein Konsumgut. Und du musst dir mal angucken, die Entwicklung des Spiegels in den letzten 10 Jahren, wie der Spiegel zur Bild-Zeitung wird. Das ist so krass, weil halt einfach diese Headlines ziehen und die brauchen halt die Klicks auf ihrer Seite. Fertig. Und dann kommt immer noch was von journalistischer Integrität. Alles klar, ihr mit euren Bildern und euren Überschriften. Journalistische Integrität am Arsch. Also sorry, zeigt mir mal einen, der noch journalistische Integrität walten lässt. Ich will gar nicht sagen, dass es gar keine ernstzunehmenden Journalisten gibt, das will ich überhaupt gar nicht sagen. Aber die breiten Medien, also Spiegel, die Bild ja sowieso, aber der Spiegel, wo ich immer dachte, okay, das ist eigentlich so ein ganz gutes Medium. Die gehen alle dahin. Und natürlich auch wenn ich dir sage, wir können im Humusoberboden unglaublich viel CO2 speichern, Ist doch voll spannend, lass uns über Humus reden. Dann sagt dir jeder Redakteur, das interessiert keinen Menschen. Natürlich nicht. Und dann denkt er ans ist Rindfleisch. Die Medien sagen, Rindfleisch ist ao schlimm. Die Kühe sind Klimakiller. Ja klar. Guck doch mal ein bisschen weiter als nur aufs Rind. Guck doch mal was Rinder können. Guck doch mal, was die machen. Und wenn man sie nicht in diesen Mengen hätte, dann wären Kühe richtig wertvolle Bausteine in einem Ökosysteme. Und das ist so dieses: wir brauchen eine bashende Schlagzeile der Klimakiller Kuh, die kann sich nicht wehren. Das ist toll, haben wir uns gut ausgedacht. Aber guck mal über den Tellerrand hinaus.

Gut, gleichzeitig ist natürlich die Zahl der Informationsmedien, wo du dich heute informieren kannst, explodiert. Also wenn ich jetzt wirklich mich mit Humusboden oder mit dem Wert von Kühen auseinandersetzen will, dann kriege ich das schon raus. Es lesen dann vielleicht nicht so viele Leute. Also gezielte Information ist viel leichter zu kriegen. Ich komme aus einem Land, aus Österreich ursprünglich, da gibt es eine ganz andere Medienlandschaft und da hast du dann halt auf der Seite sechs, wenn es Glück ist, das Kätzchen, das auf dem Dach sitzt, verzweifelt schnurrt und runter will. Also das ist so das Level. Also da finde ich jetzt in Deutschland nach wie vor schon noch eine sehr gute, breite Medienlandschaft.

Aber die Frage war ja, ob ich das erlebe, dass Leute komplett verlogen sind. Weiß ich nicht, aber ich würde sagen, die sind da sehr bewusst auf das, was zieht. Es geht um Konsum, es geht um Umsätze und da wird genau geguckt. Okay, wir brauchen Klicks, wir brauchen Aufrufe, wir brauchen eine virale Reichweite und dann wird es halt das, was halt zieht und das ist okay. Ich verstehe es auch irgendwo. Das ist überhaupt gar nicht so ein Bashing, aber safe gibt es das.

Jetzt gehen wir nochmal zur Kuh. Du hast ja auch vorhin gesagt, du zerlegst den ganzen Ochsen und die Kuh, die bringt viel Gutes auch mit sich. Jetzt muss das arme Tier ja dann trotzdem bei dir sterben und in der Masse, wie die Kühe sind, sind sie vielleicht auch nicht so nachhaltig. Also wie ist das für dich vereinbar? Ist das ein Widerspruch? Ich habe das Gefühl, du hast dir so ein eigenes Bild geschaffen.

Das ist kein Widerspruch. Ich meine, wir können, also so doof das klingt, das ist wieder Goethe „Mach dir die Erde Untertan“. Das heißt nicht, beute sie aus bis zum geht nicht mehr, aber lebt halt mit ihr. Und Kühe in der Menge, in der wir sie gerade auf dem Planeten haben, sind zu viele. Fertig. Und Massentierhaltung ist scheiße. Punkt. Ob das die Kühe, die Schweine, die Hühner sind, völlig egal. In der Menge, in der wir Fleisch konsumieren, ist es nicht vereinbar mit den planetaren Grenzen. Aber ein Tier hier zu haben, es hier leben zu lassen und dann nach einer gewissen Zeit halt auch sterben zu lassen, gehört dazu. Anderweitig würde das Tier immer tot umfallen und würde dann vergammeln. Das ist auch keine richtige Ressourcennutzung. Du musst mal sehen, der Ochse, den wir bekommen, den wir schlachten, den wir dann halt einmal im Quartal oder höchstens eigentlich einmal im halben Jahr bekommen, der wird dann über ein halbes Jahr verarbeitet. Der ist halt auf der Speisekarte. Das ist bei uns, wir haben zwei Fleischgerichte und der Rest der Karte ist vegetarisch, aus den Gründen, dass die Proportionen stimmen müssen, weißt du, alles andere ist nicht nachhaltig.

Siehst du einen Trend, also dass Leute das ablehnen, dass die zu dir kommen und sich z.B. auch beschweren, dass es überhaupt Fleisch gibt?

Das ist eigentlich ganz spannend, weil die Frage natürlich manche fragen. Die sind dann interessiert, sind auch ergebnisoffen. Bestes Beispiel, wir haben gar keinen Fisch mehr auf der Karte, weil wir uns mit Fisch beschäftigt haben. Gesagt haben, okay, Fisch kann man nicht nachhaltig produzieren, ist nicht möglich. Biofisch ist einfach nicht möglich, gesagt okay, dann keinen Fisch mehr. Und dann gab es zwei Leute, die haben sich seit fünf Jahren beschwert, dass es keinen Fisch gibt, und der Rest, dem fällt es nicht auf, weil wie gesagt, weil inzwischen wissen die Leute, die zu uns kommen, würde ich mal davon ausgehen, dass wir schon ganz gut sind in dem was wir da machen und dass wir mit Gemüse durchaus was bei ihnen hervorrufen können, was sie so noch nicht kannten und was sie auch glücklich macht. Oder denken ciao, das aus einer Karotte oder krass, Sellerie, hätte ich nie gedacht.

Wie ist es mit Fisch- und Fleischalternativen, die es ja auch gibt, finde ich die bei dir auf der Karte oder werde ich die mal finden?

Ne man, Kreativität ist die Lösung dafür. Nicht irgendwie austauschen. Das Austauschen, das ist immer Symptombekämpfung, weißt du, die Leute wollen, was so schmeckt oder wollen Fleisch oder wenn wir kein Fleisch haben, dann wollen die sowas, was so ähnliches wie Fleisch ist. Die kriegen keinen Ersatz, die Leute kriegen was viel Geileres. Aber dann vegetarisch.

Ich verstehe es. Gleichzeitig denke ich mal, es gibt halt viele geile Gerichte, die sind mit Fleisch. Und wenn ich jetzt so wie ich Vegetarier oder Veganer bin, dann bleibt mir ja diese Welt eigentlich verwehrt. Der Hardcore Veganer, der wird jetzt die Bratwurst nicht imitieren und nachmachen, denke ich mir gleichzeitig. Aber es ist ja schon so ein Aromenspektrum oder ein Geschmacksspektrum, was dir dann, also so ein Türchen, das du nie aufmachen kannst, oder?

Also ich bin ehrlich, bevor ich anfange, irgendwelche Fleischersatzprodukte bei mir reinzulassen, fange ich an, mich mit der ayurvedischen Küche in der chinesischen Küche mal auseinanderzusetzen. Und dann gehen da auch Türen auf und du denkst, alles klar. Alleine die japanische Küche, Fermente, wenn du dir anguckst, wie viele Koji-Fermente es gibt, was du damit für Geschmacksexplosionen imitieren kannst. Ciao. Ich brauche keinen Tofu-Ersatz, weil ich denke, komm, Tofu oder Erbse jetzt gerade, da denke ich so, ja Leute, glaubt ihr, was passiert? Dann haben wir die vielen Rinder weg und dann bauen wir überall Erbsen an. Und was macht der Erbsen mit dem Boden? Was machen Leguminosen mit dem Boden? Was macht Soja mit dem Boden? Soja musst du dir angucken, die erste gentechnisch veränderte Pflanze, obwohl wir uns ethisch darauf geeinigt haben, dass wir ein bisschen abwarten mit den Dingen, die wir so bei der Gentechnik einsetzen. Ich will die Wissenschaft nicht verteufeln, auf gar keinen Fall. Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und die Büchse der Pandora zu öffnen, da wäre ich vorsichtig.

Aber ich meine, ich frage mich jetzt natürlich schon: Also du kommst aus der Spitzengastronomie und sagst jetzt, du machst ein Wirtshaus und verteilst einen Ochsen. Das ist ja letztendlich aber auch ein elitärer Ansatz, weil die Masse wirst du ja mit dem Ochsen auch nicht ernähren. Also ist die Frage für mich: Sitzt du jetzt eigentlich in einem Elfenbeinturm und sagst, ich habe jetzt hier meinen Ochsen…

Ich komme von Demeter-Bauernhof, ich bin komplett in der elitären Bubble. Ja, natürlich, komplett. Das ist die heile Welt, das ist mir auch klar. Aber das heißt nicht, dass die Lösung nicht auch großflächiger sein kann. Du musst ja mal sehen: Also entweder ist es so ein Produkt, was über einen gewissen Preis gerechtfertigt wird, dann wird es für eine gewisse Sparte, sagen wir mal 5 % der Hamburger können es sich leisten oder 10 % machen wir es so. Wir sind auch so, dass wir sagen, es gibt für Studierende oder Menschen oder Leute in der Ausbildung, wo Leute wo lernen, gibt es einen 50 % Rabatt bei uns. Also die können es sich dann vielleicht auch einmal im Jahr leisten. Und dann kannst du das Spiel aber umdrehen, kannst okay, wenn ich nur diese Stückzahl x habe, also wenn ich jetzt mal 10 Portionen am Abend verkaufe, dann muss es teuer sein. Wenn ich 100 Portionen am Tag verkaufe, dann kann es günstiger werden. Also kannst du relativ schnell in die Gemeinschaftsverpflegung mit so biologisch-dynamisch erzeugten Lebensmittel oder halt auch mit diesen vegetarischen Alternativen. Du brauchst dann eine Schlagzahl, das heißt, du musst dann auf ein richtiges Level kommen. Und wenn du, bestes Beispiel, gerade Paris geht wieder komplett, die ganzen Bistros in Paris gehen weg von diesem teuren Edel, immer teurer, so Berlin, wo alle sagen: Okay, die Karotte aus der Uckermark, die ist richtig geil, kostet €18 der Teller. In Paris lachen sie dich aus, stellen einen Teller Schnecken für €9 hin, sagen hier sind die Schnecken, hier €3, das Weinglas gib ihm. Und die Läden sind von morgens bis abends so rappelvoll und da ist ein Vibe drin, du fliegst weg, du bist glücklich, denkst ciao, was passiert hier? Und die kommen natürlich über den Preis und sagen okay, das lohnt sich aber auch nur, wenn wir jeden Tag von morgens bis abends rappelvoll sind. Und dann schleusen die durch. Die gehen halt von ihrer Riesenmarge runter auf eine kleinere und sagen halt so, ihr habt 1 Stunde 30 Minuten Zeit, dann müsst ihr gehen, weil da vorne ist eine Schlange und da stehen die Leute Schlange. Da stehen Leute vorne in der Schlange, weil es einfach einfaches französisches Essen ist, richtig back to basic, geiler Wein, ab dafür.

Na gut, ich stehe jetzt sicher nicht Schlange, weil da esse ich lieber zu Hause ein Butterbrot oder?

Weiß ich gar nicht. Ich glaube, ich würde mich jetzt nicht jeden Tag in eine Schlange stellen. Das nicht, aber ich verstehe es schon, weil das ist ja das, was mich, also ich sag mal, erinnerst du dich, du lebst, wenn du in solchen Läden sitzt und dann diese Energie spürst und denkst geil, ich hab Bock hier länger zu bleiben, ich will eine große Flasche Wein, ich habe jetzt richtig Bock durchzudrehen. Und dann kommst du mit einer ganz anderen Emotion.

Da muss ich aber raus nach einer Stunde oder nach einer Stunde dreißig.

Du nimmst halt das letzte Seating stehst du halt um 18 Uhr da. Ich denke mir so, du kannst über die Schlagzahl kommen, wo ich hinmöchte. Wenn du über eine gewisse Schlagzahl kommst, kannst du auch geiles Essen für Leute in einer breiten Masse anbieten. Du musst aber auch einen Zugang dazu legen. Also die Leute müssen nur verstehen, was Essen heißt. Es sind halt mehrere Fliegen. Bei dieser Problematik musst du mit diversen Lösungsansätzen kommen. Also du kannst nicht nur sagen so wir fangen jetzt mal in der Schule an euch beizubringen, was geiles Essen ist, weil dann dauert es 18 Jahre, bis die Leute dann gelernt haben, was geiles Essen ist und bis dann ist die Welt untergegangen. Also musst du halt auch politisch ein bisschen was machen und wenn jetzt so ein Studierendenwerk in Hamburg die ganzen Mensen einfach alle umstellen auf Bio, das wäre ein krasser Impact und wenn du da einfach nur Leute hinstellst die ein bisschen Bock haben. Da muss nicht jeder der komplett durchgeballerte kreative Spitzenkoch sein, der da in der Mensa das vorbereitet. Aber wenn du sagst, so und so ist die Rezeptur, dann kannst du auf den ganzen Mensen richtig geiles essen servieren.

Also ich erlebe die Studierendenwerke sind da eigentlich relativ offen weil die auch die Kunden und Kundinnen haben, aber natürlich ist das immer eine Preisfrage und der Druck ist halt wahrscheinlich auch bei denen.

Ja der Druck ist bei denen, aber wenn man sich so hinstellen möchte, so eine Rot-Grün regierte Stadt  wie Hamburg, die irgendwas von Nachhaltigkeit faselt und ich denk mir immer so: ja am Arsch die Räuber. Die Stadt hier macht gar nichts für Nachhaltigkeit. Also Hamburg ist richtig hinten an. Das ist ganz schlimm und wenn du solche Studierendenwerke hast, ich meine mit dem Preisdruck ist mir komplett klar, ich habe hier studiert. Aber das musst du dir überlegen, die Leute, die an den Lösungen der Zukunft für die klimatischen Probleme arbeiten, fressen den größten Schmutz in der Kantine und dann denkst du: Leute, hört euch doch mal zu, was ihr da redet. Ihr fresst das letzte vom letzten, weil der Preisdruck da ist. Ehrlich, wir fahren alle AMG und schmeißen da AdBlue rein, aber was in unseren eigenen Körper kommt, darf gerne billig sein und muss gerne schmutz sein? Freunde, dann können wir es lassen.

Aber da hast du schon recht, das fängt natürlich auch bei der Ausbildung an.

So doof das klingt: jeder Akademiker oder Akademikerin ist ja irgendwo auch ein Rolemodel. Also du musst ja sagen: okay, wenn ich mich geil ernähre, dann will ich, dass meine Studierenden sich halt auch geil ernähren können. Und dann muss man vielleicht ein bisschen weg davon, dass man diese 5 Stunden Servicezeit hat und dann immer diese Bain Maries in diesen Auslagen. Die Leute stehen da eh am Tresen, dann macht doch den Takt so, dass die jede halbe Stunde ein kleineres Blech mit nicht ganz so viel drin warm machst. Die kochen ja auch nicht frisch, das ist ja ein Trugschluss. Da kommen die Gäreinsätze in den Ofen, dann Regenerationsprogramm, fertig. Aber du kriegst auch diese Produkte hin, dass die geil sind, dass die nachhaltigen Ursprung haben, dass die im besten Fall regional sind. Damit würdest du ja schon anfangen. Du musst ja nicht direkt auf Demeter-Produkte. Ich glaube nicht mal, dass es möglich wäre.

Es fängt eigentlich schon damit an, dass eine Bildungselite oder eine Bildungsschicht, die das eigentlich wissen müsste, dass die eigentlich relativ unkritisch ist, was das Essen betrifft.

In Deutschland auf jeden Fall. Also das ist ganz krass, ich habe Geografie studiert, und dann sitzen die, die reden ja über Humus, die forschen an Humus, die forschen an Boden. Das ist ja genau das, was die machen. Dann denkst du aber: hä, ihr seid ja überhaupt gar nicht stringent in dem was ihr da macht. Ihr könnt eure Statistiken ganz wunderbar und ihr könnt eure wissenschaftliche Arbeit richtig krass und ich habe da viel gelernt, ich bin da auch sehr dankbar für, aber es ist halt nicht stringent zu Ende gedacht. Und das denke ich ey Leute, einfach mal einen Schritt weiter.

Wir haben ja jetzt über super viele Konzepte gesprochen, über Nachhaltigkeit. Vielleicht noch mal so zum Schluss. Du hast es ja auch gesagt, dieses Kommen und Gehen in der Gastronomie, das ist ja ein Überlebenskampf. Restaurants, Kneipen, Cafés. Ich habe mal geguckt, der Branchenverband, DEHOGA sagt, alleine in Berlin habe ich 2000 Restaurants, Gastronomiebetriebe, die jedes Jahr schließen und wieder aufmachen, also andere. So und wenn man das mal hochrechnet, dann rede ich von 2000 Betrieben. Wie viele arbeiten in einem Betrieb? Sagen wir drei Leute im Idealfall, also im kleinsten Fall. Dann rede ich von 6000 Leuten, dreimal 2000. Die haben vielleicht auch noch eine Familie, vielleicht drei Leute, die sie ernähren, dann rede ich schon von 18.000 Leuten, sagen wir 20.000. Und dann rede ich von Aufmachen, Zumachen. Also jährlich 40.000 Menschen nur in Berlin, die von diesem Öffnungs-Schließungswahnsinn betroffen sind in einer Stadt. Gibt es da aus deiner Sicht nicht einen Handlungsbedarf, dass man sagt, man muss was gegen diesen Trend tun? Das kann ja nicht in Zukunft immer so weitergehen, oder?

Also Berlin ist eigentlich repräsentativ für die Bundesrepublik, würde ich sagen. Berlin ist halt Berlin, das ist ein eigener Kosmos. Ich persönlich fände es ganz gut, wenn die Politik dann irgendwann mal eine Gastronomie anerkennen würde als einen ernstzunehmenden Wirtschaftszweig, was sie per se nicht tut. Ja, ich glaube Öffnung und Schließung gehört dazu. Das ist ein ständiger Regenerationsprozess und das ist auch ein Verbesserungsprozess, musst du auch sehen. Ich meine, die Gastronomie Deutschlands, die ist mit Sicherheit auch ein Stück weit aus Berlin geprägt, weil du hast viele Leute, die nach Berlin gehen, dann sehen, was das für ein Lifestyle ist und dann wieder in die Provinzen gehen. Ich wollte jetzt nächstes Wochenende nach Frankfurt, Bad Soden, also irgendwo im Taunus, da ist ein Lokal, Bellas Lokal heißt das. Aus Berlin wieder irgendwo in die Wallachei, wieder zurück in den Heimatort, einen geilen Laden aufgemacht und du denkst, ja ciao, da hab ich Bock drauf. Und das hast du halt immer mehr. Mehr Leute, die wieder in die Rural Areas zurückgehen, weil sie da irgendwie einen Bezugspunkt haben und dann die Gastronomie hinbringen. Und ich glaube, das bringt die Qualität in Gänze schon auf ein anderes Level, so dass wir halt auch im ländlichen Raum immer mal wieder so kleine Perlen haben. In Süddeutschland hast du das eben mehr, weil du halt diese Wirtshauskultur mehr hast, weil da aber auch ein bisschen anderer Gastlichkeitsfaktor ist, als hier im Norden. Aber es bringt schon was.

Es ist interessant, dass du das sagst, dass das ja eigentlich eine Veränderung ist, die dazugehört, dass das sozusagen im Fluss ist und Teil auch der Entwicklung ist. Habe ich das richtig verstanden?

Das gehört dazu. Du musst in deiner Rechnung auch a) die Zahlen runter korrigieren, weil wenn du drei Leute hast, von denen hat garantiert nur jeder fünfte eine Familie, weil dieser Beruf einfach nicht familienfreundlich ist. Und b) musst du auch sehen, dass die Leute natürlich auch immer wieder, da gehen Restaurants auf und gehen zu, dann arbeiten die halt im nächsten Restaurant. Also es geht ja weiter und das ist krass, die Gastronomie ist eine super kleine Szene. Also es ist egal, wo wir hinkommen, du kennst immer irgendeinen, weil du mal in irgendeinem Hotel mit dem gearbeitet hast und dann hast du in einem anderen Hotel den kennengelernt und dann bist du in Zürich und denkst: du digga, was machstn du hier warst du nicht da und da? Also, das ist schon ein kleiner Kosmos und man kennt sich.

Schon, und umgekehrt die Gästinnen und die Gäste: Also ist es auch so, dass der eine Teil sich die Spitzengastronomie leisten kann und der andere Teil immer mehr nur den billigen Imbiss? Also gibt es da nicht auch einen Trend, dass uns eher die Mitte komplett wegbricht?

Ja, also die Mitte bricht weg, total. Also gerade jetzt mit dem Leitzins auf 4,5 % und eine Inflation weit weg vom magischen Viereck, den 2 % Inflation, merkst du, dass die Leute, die früher dreimal die Woche kamen, kommen einmal die Woche und die einmal die Woche kamen, kommen jetzt nur noch einmal im Monat. Also man merkt das schon. Und halt auch die ausgelassenen Feiereien, wo dann nicht mehr aufs Geld geachtet wird, die gehören auch der Vergangenheit an, das merkst du schon. Aber du merkst halt auch bei dir.

Na bei dir war’s ja gerade erst gestern.

Ja, weil wir Besuch hatten, weil wir uns einmal im Jahr sehen gefühlt. Aber du merkst halt schon, auch die Sternerestaurants, die haben alle zu knabbern. Also wenn dann so gestandene Läden mit Weltruhm von fünf auf vier Tage gehen, dann haben sie entweder ein Problem, weil sie kein Personal mehr finden oder weil es sich einfach schlichtweg nicht lohnt, den einen Tag noch aufzumachen.

Was muss sich aus deiner Sicht ändern? Muss irgendwas passieren? Was muss passieren?

Also ich glaube so ein Bewusstsein dafür, dass wir mit unserem Konsumverhalten im Essen ganz schön viel ausmachen können, dass wir vielleicht uns ein bisschen darauf konzentrieren, wo kommt unser Essen her, das wäre schon ganz gut. Ich glaube, ich kann jetzt hier irgendwelche Plattitüden sagen von wegen, die Gäste müssen dankbarer sein, aber das ist Quatsch. Die Gäste sind die Gäste und manche haben einen Bezug und wissen, dass es um Gastlichkeit und Herzlichkeit geht und manche sind halt nicht so gut erzogen und benehmen sich halt wie die Axt im Walde. Das ist auch okay und wenn man denen mal was sagt, dann ist das auch okay, dann sind sie mal ein halbes Jahr lang stinkig und kommen nicht mehr, aber dann kommen sie halt auch wieder. Gehört dazu. Ich glaube, dieses Vorwissen, was wir so in der Gesellschaft haben, ist nicht existent und das müsste halt vielleicht ein bisschen verbessert werden.

Aber sind so Verbände oder die Politik nicht auch ein bisschen in der Pflicht, die Leute da mehr zu schulen oder auch zu beraten, bevor sie z. B. den Laden aufmachen oder wie sie ihre Preisstruktur machen, wie sich die Gastronomie entwickelt.

Auf jeden Fall wäre das richtig sinnvoll. Aber ich glaube, Politiker:innen in die Pflicht zu nehmen, habe ich aufgegeben, weil am Ende machen sie halt dann, was Politik immer macht: Kompromisse finden. Das ist deren Job. Tut mir auch leid, aber das gehört dazu. Verbände, Verbandsarbeit ist halt sowas aus 1970. Wenn ich so DEHOGA höre, denke ich an so vergilbte weiße Halbfenster-Stoffservietten, die vom Rauch noch gelber werden und dann so an 70-jährige, die dann Verbandsgeklüngel machen. Wenn die halt irgendwann jünger wären und sich mal öffnen würden. Aber der Duktus, das haben wir schon immer so gemacht, ist halt noch omnipräsent und die DEHOGA, da tut sich was, aber die Mühlen mahlen sehr, sehr langsam.

Was aber wirklich ein Skandal ist, weil an dem Ganzen hängen ja Existenzen und das sind ja auch Leben, die da dranhängen.

Aber du musst mal überlegen, das Bäckerhandwerk hat eine Innungspflicht, das heißt, du brauchst einen Meister. Der Meister wird im Betriebswirtschaftlichen geschult, der wird im Rechtlichen geschult und so weiter und so fort. Das hast du in der Gastronomie, also bei den Restaurants, nicht. Jeder Heiopei darf sich da hinstellen und sagen, ich mache jetzt ein Restaurant auf, und wenn dann von diesen 2000 Leuten, die du gerade gesagt hast, die in Berlin im Jahr wegsterben, sind safe ein 1.800 so Heiopeis, die gesagt haben, ich mach mal schnell ein Restaurant auf, kann ja nicht so schwer sein. Es hat einen Grund, warum es ein Lehrberuf ist. Also die Spreu vom Weizen trennt sich schnell und ich glaube, was man so für zukünftige Lösungsansätze herbeiführen könnte, wäre natürlich diese DEHOGA – und das muss man ihnen lassen – sie haben die Connection zur Politik, um da Druck aufzubauen. Das ist das richtig wichtig. Ich meine, gerade auch die Arbeit jetzt, 19 % Mehrwertsteuer wieder anheben, wird auch viel daran gearbeitet und es ist wichtig, dass sie es machen, weil ich denke mal so: wäre schön, wenn es ein, zwei Jahre noch nach hinten geschoben werden würde. Ich will gar nicht weg davon, dass wir die nie wieder anheben, aber vielleicht ist der Zeitpunkt gerade nicht so richtig geil. Da ist es schon wichtig. Aber ich glaube, es ist auch wichtig, dass sich die Gastronom:innen untereinander besser verknüpfen. Und das ist so, da ist auch ein Trend. Also du hast sehr viel mehr femininen Einfluss, der nicht so egobasiert ist. Kerle sind immer ein bisschen – guck mich an – mehr edgy drauf. Und ich glaube, dass ganz wichtig ist, dass du halt so Gruppierungsbildung hast und Vernetzung hast. In Berlin ist es die Gemeinschaft, die wurde von Billy Wagner ins Leben gerufen, also Nobelhart & Schmutzig, die sind so wegweisender, die einfach nur Gastronomen untereinander verknüpfen, mit Produzenten, mit Uralterzeugern, also mit dem Landwirt, dem Schlachter, dem Geflügelzüchter, sowas. Dass das Netzwerk der Lieferant:innen besser wird, aber auch das Know how für die Leute. Weil auch in der Kochausbildung wirst du ja nicht über Herkünfte geschult. Also auch in der Kochausbildung wird dir nicht beigebracht, was macht eigentlich Soja oder was macht Soja nicht? Was macht eine Kuh und was macht eine Kuh nicht? Das wird ja nicht beigebracht. Dir wird ja nur beigebracht, welches Teil du bestellen musst für welches Gericht. Aber dir wird ja schon lange nicht mehr beigebracht, wo dieses Teil im Körper eines Tieres ist. Geschweige denn, es auseinanderzubauen, das sind ja diese ursprünglichen Sachen, die werden ja gar nicht mehr vermittelt. Es ist auch ein Zeitgeist, kein Genörgel. Aber das wären halt Dinge, das macht jetzt gerade die freie Wirtschaft. In dem Fall machen das bewusste Gastronom:innen, die immer bewusster denken und die vernetzen sich. Und durch dieses Netzwerk und diesen Austausch kommen natürlich unglaublich schöne Synergien zum Tragen. Dann sagen auch die Auszubildenden: Boah, ich hab mal Bock, bei einem Schlachter zu arbeiten. Boah, ich hab mal Bock, bei einem Landwirt mitzulaufen. Und dann sagen wir: ja, alles klar, wir haben einen Landwirt, der macht das, da kannst du hingehen, kannst du zwei Wochen mitlaufen. Dann sagt er, ich will nur eine Woche. Dann sagt der Landwirt, dann machen wir es nicht, weil ich muss dir auch was erklären. Und da habe ich keinen Bock, dass du dann nach einer Woche weg bist.

Also wir brauchen mehr kluge Köpfe.

Bewusste.

Bewusste und kluge Köpfe.

Ach, klug ist nicht wichtig. Bewusst ist wichtig: zu wissen, was mache ich eigentlich und warum mache ich das? Und wie mache ich es?

Also ich bin auf jeden Fall happy, dass ich einen bewussten Kopf da hatte. Vielen Dank Marianus. Und damit du weiter so voller Elan dabeibleibst, habe ich natürlich einen kleinen Energiebooster für dich, einen Müsli-Riegel. Es ist leider wieder mit Insekten, aber Dankeschön fürs Kommen!

Morgen ess ichs.

Morgen isst du es. Und ich wünsche dir alles, alles Gute. Vielen Dank fürs Gespräch.

Danke, sehr gerne.

Das wars für diese Folge von Food Fak(t). Ich bin jetzt eigentlich richtig neugierig geworden, die vegetarischen Gerichte im Klinker zu probieren und ich denke, man kann sich recht sicher sein, denn Insekten werden da nicht über den Tisch krabbeln. Wer mehr über die heutige Folge erfahren möchte, auf dem Insektenkanal foodfakt_podcast findet ihr alle Infos. Dort könnt ihr direkt Feedback zur aktuellen Folge geben und schlagt mir auch gerne Themen vor, die euch besonders interessieren. Baba und Servus, bis zum nächsten Mal.